Die Stadtrundfahrt
»Und noch etwas … und noch etwas … und noch etwas.« Es gibt nichts, was wir Dortmunder über Kiel nicht wissen müssten.
Ein großer, schlanker Mann mit sportlicher Windjacke und windschnittigem Haar ist unser Reiseführer. Und ein versierter noch dazu. Besonders Zahlen haben es ihm angetan. Es ist aber nicht nur seine etwas mechanische Art der Faktenaneinanderreihung durch eine Wiederholung der Wortkombination »Und noch etwas«, sondern in erster Linie seine kritische Erzählhaltung, die die Stadtrundfahrt zu einer besonderen werden lässt.
»Die Stena Germanica ist 176 m lang, 43,5 m hoch und 30 m breit. Sie fasst bis zu 1700 Passagiere und 600 Pkw oder 80 Lkw. Und noch etwas: auf der 430 km langen Strecke Kiel–Göteborg verbraucht die Fähre 28-40 Tonnen Kraftstoff; trotzdem weigert sich Stena Line beharrlich, Filter einzubauen, die den Schadstoffausstoß verringern würden.«
Nach Stena Line und Gorch Fock und nach einer kurzen Pinkelpause, in der eine Sopranistin es sich nicht nehmen lässt, ihren Kaffee mit einer Möwe zu teilen, erreichen wir einen exotischen Ort außerhalb von Kiel direkt an der Küste. Hier in Kiel-Schilksee steht das Olympiazentrum, eigens für die Segelwettbewerbe der Olympischen Spiele von 1972 erbaut. In dem parallel zur Küste lang gestreckten Betonbau findet man Bootshallen, Organisationsräume, Saunen und sanitäre Einrichtungen, ein Postamt, Restaurants und Läden sowie 400 Appartements für die Olympioniken, die zusammen mit Zuschauern und Funktionären dem Grau im Jahr 1972 11 Tage lang Leben einhauchten. Heute sagen sich hier Fuchs und Hase Gute Nacht. Wir nehmen den Verfall des Gebäudes zur Kenntnis und möchten wieder in den warmen Bus – wer weiß, was sich hier so für Gestalten einquartiert haben.
Die Stadtrundfahrt ist keine Ode an Kiel – sondern erstaunlich ehrlich.
Und noch beim Abendessen streiten wir, ob der Reiseführer nun beeindruckt oder genervt hat.