Kiel 2013
Unsere Chorahrt nach Kiel vom 3. bis 6. Oktober 2013
Direkt an der Kieler Innenförde, auf ihrer Westseite, liegt unser Hotel. Zu unserer Linken sind es nur wenige kaiserliche Stufen in die Empfangshalle des Kieler Hauptbahnhofs. Zentraler geht es wohl nicht. Und wenn man ganz genau hinschaut, tut sich verhalten ein reges Busaufkommen hinter Kaiser Wilhelms Kopfbahnhof auf. Da wollen wir jetzt hin.
Wir verlassen die Linie 101 und biegen in einen grünen Trampelpfad ein. Die Sonne scheint. Die Vögel zwitschern, wir schnattern und trällern; und machen uns entlang des östlichen Förde-Ufers auf nach Laboe.
Am U-Boot-Ehrenmal Möltenort, das allen bei U-Boot-Einsätzen gestorbenen Soldaten gewidmet ist, legen wir eine Pause ein. Mit Adleraugen entdeckt ein Bassist hier den ersten Kormoran nicht weit entfernt vom Ufer: schön, wie er die Sonne mit offenen Armen in Empfang nimmt. Derweil starren die Möwen auf das Eis in der Hand eines zweiten Bassisten: er fühlt sich bedroht und schleckt schneller. Der guten Laune tut es keinen Abbruch; anhaltender Sonnenschein und kilometerlange Sandstrände bringen uns in Urlaubsstimmung.
Kurz vor den Hafenanlagen von Laboe passiert es dann doch: Wolken ziehen auf. Im Hafen angekommen, flüchten wir vor den ersten Regentropfen in eine Mischung aus Eisdiele, Kiosk und Café. Und als wir uns so in Sicherheit vor dem Wetter wähnen, werden wir hinterrücks vom eigenartigen Teewasser überrascht:
»Mein Kräutertee schmeckt nach Fisch!« »Was? Echt? – Tatsächlich.«
Uns fällt auf, dass wir die einzigen Gäste sind.
Eine mollig warme, ratternde Fähre bringt uns zurück zum Hotel. Es riecht nach Heizungsluft und alten Sitzpolstern. Obwohl wir müde sind, schnattern wir weiter – und freuen uns auf das, was da kommt.
Die Stadtrundfahrt
»Und noch etwas … und noch etwas … und noch etwas.« Es gibt nichts, was wir Dortmunder über Kiel nicht wissen müssten.
Ein großer, schlanker Mann mit sportlicher Windjacke und windschnittigem Haar ist unser Reiseführer. Und ein versierter noch dazu. Besonders Zahlen haben es ihm angetan. Es ist aber nicht nur seine etwas mechanische Art der Faktenaneinanderreihung durch eine Wiederholung der Wortkombination »Und noch etwas«, sondern in erster Linie seine kritische Erzählhaltung, die die Stadtrundfahrt zu einer besonderen werden lässt.
»Die Stena Germanica ist 176 m lang, 43,5 m hoch und 30 m breit. Sie fasst bis zu 1700 Passagiere und 600 Pkw oder 80 Lkw. Und noch etwas: auf der 430 km langen Strecke Kiel–Göteborg verbraucht die Fähre 28-40 Tonnen Kraftstoff; trotzdem weigert sich Stena Line beharrlich, Filter einzubauen, die den Schadstoffausstoß verringern würden.«
Nach Stena Line und Gorch Fock und nach einer kurzen Pinkelpause, in der eine Sopranistin es sich nicht nehmen lässt, ihren Kaffee mit einer Möwe zu teilen, erreichen wir einen exotischen Ort außerhalb von Kiel direkt an der Küste. Hier in Kiel-Schilksee steht das Olympiazentrum, eigens für die Segelwettbewerbe der Olympischen Spiele von 1972 erbaut. In dem parallel zur Küste lang gestreckten Betonbau findet man Bootshallen, Organisationsräume, Saunen und sanitäre Einrichtungen, ein Postamt, Restaurants und Läden sowie 400 Appartements für die Olympioniken, die zusammen mit Zuschauern und Funktionären dem Grau im Jahr 1972 11 Tage lang Leben einhauchten. Heute sagen sich hier Fuchs und Hase Gute Nacht. Wir nehmen den Verfall des Gebäudes zur Kenntnis und möchten wieder in den warmen Bus – wer weiß, was sich hier so für Gestalten einquartiert haben.
Die Stadtrundfahrt ist keine Ode an Kiel – sondern erstaunlich ehrlich.
Und noch beim Abendessen streiten wir, ob der Reiseführer nun beeindruckt oder genervt hat.
Das Konzert
Der weiße Schotter hinter der Kirche knirscht, als wir in unserem Bus vorfahren. Die neugotische Paulus-Kirche liegt inmitten von kleinen Villen: erwartet uns hier etwa ein anspruchsvolles Publikum? Nervös steigen wir aus dem Bus.
Wir dürfen uns in einem schicken, modernen Anbau warm singen. Während die letzten Besucher die Kirche betreten, tippelt ein Tenor unentspannt über das feine Parkett und es findet noch die obligatorische Last-Minute-Probe vereinzelter Altistinnen statt – bis zum Aufmarsch-Kommando unserer Chorleiterin.
In der weißen Kirche singen wir unser buntes internationales Programm – und das Publikum ist fantastisch. Permanent begeisterte Blicke und aufmerksame Ohren begleiten uns auf unserer musikalischen Weltreise von Deutschland (»Abschied vom Walde«) über Schweden (»Uti vår Hage«), Irland (»An Irish Blessing«), die USA (»Any How«), Afrika (»Nkosi Sikelel’ iAfrika«) und Sardinien (»No Potho Reposare«) zurück in die Heimat Ruhrpott (»Der Mond von Wanne-Eickel«).
Wieder im Bus verkündet eine Tenörin die stolze Bilanz: »Wir haben sieben von acht CDs verkauft! Und die letzte schenke ich dem Busfahrer!« Jubelschreie.
Vielen Dank für die schöne Zeit mit dir, Kiel!